Die Euro-Sorgenkinder
Das kleine Land im Nordwesten des Kontinents mit 4,5 Millionen Einwohnern hat in der Finanzkrise einen Tiefschlag nach dem anderen einstecken müssen. Die Banken verspekulierten sich mit überteuerten Immobilien, der Staat musste sie mit Milliarden stützen. Für die Bankenrettung werden bis Dutzende Milliarden Euro veranschlagt - bei einem Bruttoinlandsprodukt von 160 Milliarden Euro ein unglaublicher Kraftakt. Das Haushaltsdefizit steigt in diesem Jahr auf astronomische 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Im Gegensatz zu Portugal und Griechenland hatte sich Irland – als es noch der „keltische Tiger“ war – aber eine starke ökonomische Basis geschaffen. Mit extrem niedrigen Steuern lockte die Regierung Investoren aus aller Welt an. Auch aktuell wachsen die Exporte, die Industrieproduktion geht steil nach oben, die Arbeitslosenquote beginnt zu sinken. Zudem sollen die finanziellen Mittel nach Regierungsangaben bis Mitte 2011 reichen.
Die staatlichen Sparanstrengungen bremsen die Wirtschaft. Sie wird nach der Herbstprognose der EU-Kommission im kommenden Jahr um ein Prozent schrumpfen und 2012 um magere 0,75 Prozent wachsen. „Die Sparpakete dämpfen den privaten Konsum“, sagt die Brüsseler Behörde voraus.
Die Regierung hatte im Juli die Mehrwertsteuer angehoben und Sozialleistungen gekürzt. Dadurch wird das Staatsdefizit im kommenden Jahr auf 4,9 Prozent fallen und 2012 mit 5,1 Prozent ähnlich hoch ausfallen. Für 2010 werden noch 7,3 Prozent erwartet. Gleichzeitig nimmt die Gesamtverschuldung zu: Sie dürfte bis 2012 auf 92 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen – in diesem Jahr sind es etwa 83 Prozent. Erlaubt sind nach den EU-Verträgen maximal 60 Prozent.
Griechenland konnte im Frühjahr letztlich nur durch Zusagen der anderen Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Das Land mit 11 Millionen Einwohnern hat dauerhaft über seine Verhältnisse gelebt, fehlende Einnahmen wurden ständig über neue Schulden ausgeglichen. Die Hauptursachen der Misere werden im überdimensionierten Staatssektor gesehen, in der fehlenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Vertuschung der tatsächlichen Lage der griechischen Finanzen vor den zuständigen Stellen der EU.
Der griechische „Wasserkopfstaat“ muss etwa eine Million Beamte und Angestellte bezahlen. Kein anderer EU-Staat hat mehr Staatsbedienstete. Fast jeder fünfte Arbeitnehmer in Griechenland ist vom Staat abhängig. Tourismus und Handelsschifffahrt sind die wichtigsten Devisenbeschaffer, doch beide Wirtschaftszweige litten unter der Krise. Das Haushaltsdefizit erreichte 2009 nach mehrmals korrigierten Zahlen die Rekordhöhe von 15,4 Prozent des BIP. Mit drastischen Sparmaßnahmen soll es bis 2014 unter die Marke von 3 Prozent gedrückt werden.
Spanien kommt nach Vorhersage der EU-Kommission nur ganz langsam aus der Wirtschaftskrise. Für 2011 wird ein Wachstum von lediglich 0,75 Prozent erwartet, das 2012 auf 1,75 Prozent steigen soll. Zum Vergleich: Von Mitte der neunziger Jahre bis 2007 gab es ein durchschnittliches Wachstum von mehr als 3,5 Prozent.
Die hohe Arbeitslosigkeit von rund 20 Prozent und das Sparpaket der Regierung stehen einem kräftigen Aufschwung im Weg. Das macht sich auch im Staatshaushalt bemerkbar: Zwar dürfte das Defizit im kommenden Jahr auf 6,4 Prozent sinken, 2012 aber mit 5,5 Prozent noch deutlich über der EU-Obergrenze von drei Prozent verharren. Immerhin: Seit 2009 hätte sich das Defizit damit mehr als halbiert.
Von den Sorgenkindern dürfte Italien die größten Fortschritte auf dem Weg hin zu solideren Staatsfinanzen machen. Das Defizit dürfte der EU-Prognose nach bis 2012 auf 3,5 Prozent schrumpfen und damit nur noch knapp über der erlaubten Drei-Prozent-Marke liegen.
Allerdings: Die Gesamtverschuldung dürfte dann mit rund 120 Prozent immer noch doppelt so hoch wie erlaubt sein. Wirtschaftlich sind die Aussichten nicht gerade rosig. Etwas mehr als ein Prozent Wachstum pro Jahr traut die Kommission der drittgrößten Volkswirtschaft des Euro-Raums zu.
Das liegt vor allem daran, dass sie vorwiegend vom Export lebt, der sich wiederum auf die anderen Euro-Länder konzentriert. „Dadurch profitiert Italien nicht im vollen Umfang von den guten Wachstumsaussichten in den Schwellenländern“, so die Kommission.
Belgien rückt zunehmend in den Fokus der Märkte. Das Defizit wird nach Prognose der EU-Kommission von 2010 bis 2012 zwischen 4,6 und 4,8 Prozent verharren. Die Staatsverschuldung dürfte bis dahin auf 102,1 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Die EU-Verträge legen eigentlich eine Obergrenze von 60 Prozent fest.
Dabei dürfte die Wirtschaft bis 2012 um jeweils rund zwei Prozent vergleichsweise robust wachsen, weil Belgien vom Aufschwung seines wichtigsten Handelspartners Deutschland profitiert. Die Wettbewerbsfähigkeit des kleinen Landes hat allerdings stark gelitten: Ein geringes Produktivitätswachstum und höhere Verdienste haben die Lohnstückkosten seit 2005 schneller steigen lassen als im Euro-Raum.
Wolfgang Schäuble ist kein Mann, der mit seinen Reden große Säle mitreißen kann. Dafür ist er meist nicht emotional genug. Trotzdem aber ist der Bundesfinanzminister ein Meister der geschliffenen Rede, schon weil er es versteht, seine wahre Botschaft hinter ellenlangen Sätzen mit einer Unzahl an Kommata zu verstecken. Deshalb ist es in Interviews auch nur selten möglich, den Minister so festzunageln, dass ein Ja bei ihm ein Ja und ein Nein auch ein Nein ist.
Foto: dpa/DPA Während Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble klare Ansagen macht, ziert sich Bundeskanzlerin Angela Merkel
Wichtige Stationen der Eurokrise
Die Europäische Einheitswährung steht seit Herbst 2008 unter Druck.
Welt Online hat die wichtigsten Stationen zusammengestellt...
17.03.2008
Investmentbank Bear Stearns muss vor Bankrott gerettet werden
15.07.2008
Euro markiert Allzeithoch bei 1,6038 Dollar
15.09.2008
Insolvenz Lehman Brothers
05.10.2008
Bundesregierung sagt privaten Sparern staatliche Garantie für alle Spareinlagen zu
Ende Oktober 2008
Angst vor Staatspleiten in Osteuropa belastet Euro
20.10.2009
Griechenlands Finanzminister muss zuvor frisierte Schuldendaten korrigieren
22.10.2009
Fitch stuft Bonität von Griechenland um eine Stufe von A auf A- ab
11.04.2010
EU-Regierungschefs einigen sich auf Hilfspaket für Griechenland von 30 Mrd. Euro, wird am 2.Mai auf 110 Mrd. Euro erhöht
23.04.2010
Griechenland beantragt Aktivierung des Hilfspakets
27.04.2010
Ratingagentur S&P stuft Griechenland-Anleihen auf Ramsch-Status
09.05.2010
EU-Finanzminister beschließen Schutzschirm für die Euro-Zone im Volumen von insgesamt 750 Mrd. Euro
10.05.2010
EZB gibt Ankauf von Euro-Staatsanleihen bekannt
07.06.2010
Euro markiert Zwischentief bei 1,1877 Dollar, Angst vor Kollaps der Eurozone
23.07.2010
Glimpflicher Ausgang des europäischen Bankenstresstests, lediglich 7 von 91 Banken bestehen Belastungsprobe nicht
30.09.2010
Irische Bankenkrise kommt mit Macht zurück: Dublin muss Finanzsystem mit 50 Mrd. Euro stützen
29.10.2010
EU-Finanzminister einigen sich auf Verschärfung des Stabilitätspaktes: künftig sollen auch private Investoren an der Sanierung von Staaten beteiligt werden
21.11.2010
Irland beantragt Hilfen aus dem Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (EFSF)
28.11.2010
EU-Regierungen einigen sich auf Hilfspaket für Irland in Höhe von 85 Mrd. Euro
29.11.2010
Euroschuldenkrise weitet sich auf Portugal und Spanien aus
Entsprechend vorsichtig muss man bei der Exegese von Schäuble-Äußerungen sein. Das gilt auch für jenes Interview, dass er der „Financial Times“ gab. Schäuble sagt dort im Zusammenhang mit der Eurokrise nicht nur, dass nationale Souveränität allein nicht das Instrument des 21. Jahrhunderts sei. Er macht auch klar, dass er sich vorstellen könne, den Bundestag davon zu überzeugen, Budgetrechte an die EU abzutreten – vorausgesetzt, man habe einige Monate Zeit, daran zu arbeiten und die EU-Partner würden mitziehen.
Sicher, in dieser Aussage sind zwei Wenn versteckt. Deshalb lädt auch sie zum Spekulieren ein. Für Schäubles Verhältnis sind die Sätze trotzdem relativ deutlich. Schließlich diskutiert der Minister damit Maßnahmen, die die Regierung im Streit um die Lösung der Eurokrise bislang nicht erwogen hat.
Daraus lassen sich zwei Dinge ableiten. Erstens hat sich mit Schäuble endlich ein Spitzenpolitiker über den Zustand der Eurozone Gedanken gemacht, die weit über die Kurzatmigkeit bisheriger Krisentreffen hinausgehen.
Zweitens hat er erkannt, dass es für die Partner im Währungsraum nur zwei Alternativen gibt. Entweder stirbt der Euro, weil der schwache institutionelle Rahmen die Unterschiede in der Währungszone nicht mehr klammern kann. Oder die Mitgliedsländer verzichten auf das Recht einer eigenständigen Finanzpolitik. Dazu gehört auch die unangenehme Wahrheit, dass die Starken die Schwachen für eine lange Zeit finanziell stützen müssen. Welchen Weg Schäuble bevorzugt, lässt sich nach dem Interview erahnen. Jetzt wäre es an der Kanzlerin, endlich ihre Präferenzen offen zu legen.
Iren protestieren gegen Sparpolitik
Foto: dpa Einen Tag vor der Einigung der EU-Staaten auf ein Hilfspaket für Irland waren in der irischen Hauptstadt Dublin Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen...
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